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Bildhaft ausdrücken, was unsagbar ist
Der Maler und Grafiker Klaus Binder stellt im Wormser Museum Heylshof
aus – Linienbilder und Nichtskunst
Das Spannungsfeld zwischen den möglichen Stufen formaler Reduktion und
der Vielfalt des Ausdrucks, der Bedeutung, die diese reduzierte Form in
sich birgt – das ist das Sujet des Wormser Künstlers Klaus Binder, dessen
Arbeiten zurzeit im Museum Heylshof in Worms zu sehen sind.
„Ich zeige, was eine Linie sein kann, was eine Linie ist“, fasst Binder
sein Streben nach bildnerischem Ausdruck zusammen. Eben diese Linie ist
dann auch das bestimmende formale Element seiner Arbeiten. Binders Bilder
bestehen oft nur aus dieser einzigen Linie, offenbaren aber gerade dadurch
eine ganze Weltsicht. Denn der 1947 in Kaiserslautern geborene Künstler
beschäftigt sich intensiv mit asiatischer Kunst und Philosophie aus dem
Fundament seines grafischen Schaffens. Die Idee, ein Bild aus nur einer
einzigen Linie heraus aufzubauen, wurzelt bei Klaus Binder im japanischen
Bildkonzept des „Enso“. Der Pinselstrich, die Bewegung der Linie fügt
sich dabei einer Kreisform, ohne jedoch diesen Kreis zu schließen. Dahinter
liegt der Gedanke, dass sich in diesem unvollendeten Kreis, kosmische
Energie – das Chi – manifestiert.
Dieses nicht Greifbare wird durch die Zeichnung, durch die Linie manifest,
wodurch ein Bild letztlich den Wert eines Mediums erhält, das auszudrücken
vermag, was nicht ausgedrückt werden kann. Den Arbeiten von Klaus Binder
kommt durch diesen in der Philosophie des Zen-Buddhismus verwurzelten
Überbau ein meditativer Charakter zu, der den Betrachter bewegt und fasziniert.
Es kommt zu einer „Verbindung von Zen-Meisterei und abstrakter Malerei“,
wie der studierte Kunsterzieher und Germanist mit Hang zur Wortspielerei
anmerkt. Kaum eine der gezeigten Arbeiten ist gerahmt, auf den meisten
Leinwänden bleiben die Farben Schwarz und Weiß vorherrschend, unbunte
Farben also, Nicht-Farben.
Diese bestimmen auch Binders Grafiken, doch geht er hier einen anderen
Weg, holt die Energie, die in seinen auf die Linie reduzierten Gemälden
gedanklichen Ausdruck finden soll, zurück ins Bildliche. Aus der Kreisbewegung
heraus baut er die Komposition auf, übersetzt energetische Kraft virtuos
in sich verdichtende Schraffuren, die teils sich treffend, teils sich
gegenseitig überlagernd den Bildraum erfahrbar machen.
Ähnlich energetisch ist auch ein Teil der Acrylbilder, die in der von
Jackson Pollock populär gemachten Malweise des „drippings“ entstehen,
bei denen also die Farbe direkt aus der Dose auf den Bildträger tröpfelt.
„Ich habe dabei die Leinwand nicht berührt“, sagt Binder und verweist
auf das Prinzip des „provozierten Zufalls“, bei dem sich das scheinbare
unkontrollierte Chaos des Farbauftrags schließlich in die Ordnung des
Bildraums manifestiert. Hier schließt sich (fast) der Kreis zu den Linienbildern,
wenn abermals das Kunstwerk Ausdruck des Allseienden, der Energie wird.
„Ein Bild zeigt, was Worte nicht sagen können, ein Bild sagt, was es nicht
zeigt“, es bringe das nicht nichts seiende Nichts“ zum Ausdruck, verweist
Binder auf einen Zen-Gedanken. Seine Kunst nennt er Nichtskunst und lässt
sie mit einem Augenzwinkern im letzten Exponat der Ausstellung in eine
Arbeit münden, die aus einem schlichten, vergoldeten Holzrahmen besteht,
daran ein kleiner Zettel mit der Aufschrift „nichts“.
Die Rheinpfalz / 03.11.2005 |